Sonntag, 5. November 2017

DM Mainova Marathon Frankfurt 29.10.2017



10:00 h 
Ich stehe im Startblock "BMW"
Um mich herum 14 000 Menschen, neben mir Jan, mein Hase, Verpflegungsdirektor und Mentalcoach für diesen Tag.
Ich sehe mich um, es schnürt mir vor Aufregung die Kehle zu. 
Wieder einmal erscheint es mir unvorstellbar, über die Strecke von 42,195 Kilometern in einem Tempo zu laufen, welches ich im Training an manchen Tagen nicht mal für 3 Kilometer durchgehalten habe. 
Es ist kalt, recht windig, um mich herum andere Läufer, zappelig, manche ruhig, in den Ohren die unverständlichen Ansagen des Moderators und Musik.
Ich bekomme immer mehr Angst, aber plötzlich kommt mir ein Gedanke. 
Ich wende mich an Jan: "Egal wie das hier heute ausgeht, was passiert oder auch nicht, es ist ein Wunder das ich heute hier stehe und ich bin sehr sehr froh und dankbar und werde es genießen!"
Dann geht es los.
Bei mir entscheiden oft schon die ersten Meter darüber, wie der Wettkampf verlaufen wird. 
Je nachdem wie sich das geplante Tempo anfühlt, weiß ich sehr bald, ob es ein leichter oder schwerer Lauf wird. 
Beim Marathon muss sich das Tempo am Anfang ganz leicht anfühlen. Und das tut es. 


Also bremsen, bremsen, bremsen. 

Jan tut sein Bestes. 
So beginnen wir den Tag. 

Um uns herum sortiert sich das Feld, die Sonne kommt heraus und die Zuschauer bringen uns enthusiastisch auf den Weg. 
Wir laufen Seite an Seite und ich möchte nirgendwo anders sein als genau hier. 
Der Weg durch die Stadt vergeht wie im Flug und wir überqueren den Main. 
Jetzt merkt man den Gegenwind ein bisschen, ich versuche mich etwas hinter Jan zu verstecken aber wirklich schlimm finde ich es nicht. Da sind wir aus Hamburg schlimmeres gewöhnt und außerdem bedeutet es auf dem Rückweg Wind von hinten!
Es sind auch außerhalb Frankfurts viele Zuschauer an der Strecke, es wird nicht langweilig und nur Jan, der immer wieder mahnt Tempo raus zu nehmen, nervt ein wenig 😏
Aber ist halt sein Job und er hat natürlich recht. 

Ich liebe die Trommel-Bands, von mir aus können die alle 500 Meter stehen, ich bekomme Gänsehaut wenn ich sie schon von weitem höre.
Als der Halbmarathon Bogen kommt, kann ich es nicht glauben. 
Immer noch läuft es als wäre es ein entspannter langer Lauf im GA 1 Tempo. Ich bin nicht annähernd müde, trinke ab und zu, nehme schluckweise mein Gel, Jan macht einen tollen Job, auch wenn er in zunehmend schärferem Ton unser immer noch zu schnelles Tempo kritisiert. 
Jetzt "nur" noch nach Hause!
Bei Kilometer 22 habe ich dann einen kleinen Hänger, nicht körperlich, ich fühle mich nach wie vor toll, eher mental. Es ist noch weit und ich habe Angst was noch kommt. 
Als Reaktion darauf werde ich anscheinend schneller, denn Jan wird jetzt richtig sauer und droht damit mich laufen zu lassen wenn ich mich nicht zusammen reiße. 
Also besinne ich mich, konzentriere mich auf die nächsten 5 Kilometer Abschnitte. 
Ich liebe das Stück Landstraße. Es geht sanft bergab mit Rückenwind, man kann einfach rollen lassen. Ich horche in mich rein, 30 Kilometer und es geht mir fantastisch. 
Kilometer 32.
Nur noch 10 Kilometer!
Ein Zehner geht immer! 
Weiter, weiter. . . .
Kilometer 35. Noch eine Alsterrunde, mehr nicht?? 

Endlich lässt Jan mich laufen. 
Ich beschleunige ein bisschen und überhole Läufer für Läufer. 

Achtung, sieben Kilometer sind sieben Kilometer rede ich mir zu, gucke auf die Uhr. Pace 04:32 in dem laufenden Kilometer. 
Kurz kommt mir das alles total surreal vor. Wenn es denn ein Traum ist, hoffe ich das ich nicht aufwache!
Wir sind wieder in der Stadt. Hier mag ich es nicht so, ich erinnere das noch von 2015. 
Es wird enger, man läuft ständig um Ecken und man kann die Moderation aus der Festhalle hören ohne schon dort zu sein. 
Aber im Gegensatz zu von vor zwei Jahren bin ich noch frisch, noch 5 Kilometer, dann 4. 
Jetzt gucke ich nicht mehr auf die Uhr, laufe nur noch von 
Läufer zu Läufer. 
Bei Kilometer 40 dann die erste und einzige wirkliche Prüfung an diesem Tag.
Eine Winzigkeit von vielleicht 500 Metern Kopfsteinpflaster. 
Das haut dann doch ordentlich rein. Plötzlich erinnern mich meine Füße und meine Oberschenkel daran, dass sie jetzt allmählich keine Lust mehr haben. 
Ich komme aus dem Rhythmus und bekomme prompt Seitenstechen. 
Aber dann ist es auch vorbei. 
Noch 2 Kilometer. 
Ich will jetzt einfach ankommen. Ich habe schlauerweise auf meiner Uhr nicht die Gesamtzeit eingestellt und die 40 Kilometer Zeitanzeige irgendwie verpasst, aber das es eine PB wird, ist mir klar. 
Und egal welche Zeit am Ende auf der Uhr steht - das war der beste Marathon  den ich je gelaufen bin.

Ich biege endlich in die Festhalle ein. 

Viel zu kurz der Einlauf unter tosendem Beifall und Musik. 
Hinter der Ziellinie breche ich tatsächlich vor Freude und Erleichterung in Tränen aus. 

Eine wildfremde Läuferin nimmt mich in den Arm. 
Da kommt auch Jan, ich umarme ihn immer noch heulend, bekomme kaum Luft. 
Eine mitfühlende Helferin fragt mich, ob alles in Ordnung ist, aber es ist einfach nur Glück.

Wie knapp es im Endeffekt war wird mir klar als ich sehe, das ich eine Nettozeit von 03:14:55 Stunden erreicht habe!

Übrigens habe ich bei der Wertung für die Deutsche Meisterschaft "nur" Platz 5 belegt. 
Um aufs Treppchen zu kommen, hätte ich noch mindestens 5 Minuten schneller sein müssen.

Ein Video Zusammenschnitt dank ASICS:





Mehr Fotos wie immer unter FOTOS

Donnerstag, 12. Oktober 2017

Wenn das Training richtig schlecht läuft

Wer jetzt ein Rezept für ein Wundermittel erwartet, oder das übliche "fishing for comliments" nach dem Motto: "Uh, ich war eine Sekunde über der Zielpace, ich werde nie, nie, niemals meinen Wettkampf schaffen", den muss ich enttäuschen. 

Mein Ziel ist es, in diesem Blog mich und meinen Sport so ehrlich und auch vollständig wie möglich zu schildern. 
Dazu gehören eben nicht nur die Höhepunkte, wie gewonnene Wettkämpfe, tolle Trainingseinheiten, Läufe in herrlicher Landschaft in den Sonnenuntergang, schwimmen mit Delfinen und was es sonst noch so an Postkartenidyllen im Leben einer Triathletin gibt. 

Natürlich schreibe und poste auch ich lieber über Erfolge, tolle Leistungen und über meinen stahlharten Willen und perfekt funktionierenden Körper, die Realität sieht aber eben auch bei mir und nicht nur bei mir, oft anders aus. 

Es gehören auch Unfälle, Läufe im Schneeregen morgens um fünf, Schwimmtrainings morgens um fünf die nicht stattfinden (weil ich leider einfach im Bett liegen geblieben bin anstatt zum dringend nötigen Training zu gehen), Wettkämpfe bei denen nichts funktioniert und auch besonders Trainingsperioden, in denen man (ich) drei Schritte zurück und keinen nach vorne macht. 

Leider hört und liest man über solche Tiefs bei anderen ambitionierten Sportlern sehr wenig. Und wenn, dann oft nur als "Vorspiel" zu einem späteren, um so größeren Erfolg. 
Das macht es zumindest für mich um so schwerer, mit solchen Phasen umzugehen. 

Das mal eine Einheit so richtig in die Hose geht - geschenkt. Jeder hat mal einen schlechten Tag und die Form entwickelt sich selten so linear wie ich und der Trainingsplan es gerne hätten. 

Aber in meinem konkreten Fall geht es jetzt schon in die zweite Woche. Vor drei Wochen flutschte das Training nur so, keine Einheit zu lang, kein Intervall zu schwer. Das es dann letzte Woche härter werden würde, war klar. 

Mein Körper baut seine Form immer schon in Wellen auf. Inzwischen kann ich damit umgehen, breche auch mal ein Training ab wenn es gar nicht geht oder setze eher einen gefühlten Reiz, anstatt mich an die vorgegebene Pace zu klammern. 

Insofern nahm ich es hin, letzte Woche ein intensives Training auszulassen und das andere so gerade eben irgendwie hinter mich zu bringen. 
Ich hatte ansonsten keine Probleme meine Wochenkilometer zu laufen, machte mir also überhaupt keine Sorgen. 
Ich war also sicher, den Tempolauf heute, nach 2 kompletten Ruhetagen, im wahrsten Sinn des Wortes im Flug zu absolvieren. 

Aber nein, nach 8 von 18 Kilometern ist bei mir völlig die Luft raus. 
Ich werde langsamer, ziehe an, es wird anstrengender als es an diesem Punkt der Strecke sein sollte, ich denke mit Grausen an den verbleibenden Rest und bleibe erstmal stehen. 
Das ist eine ganz schlechte Idee. 
Ein Tempolauf unterscheidet sich nun mal von einem Intervall dadurch, das man durchläuft und eben nicht stehenbleibt.
Damit war das Training im Grunde also schon mal gescheitert. 
Jetzt hatte ich genau zwei Optionen. 
Entweder gleich abzubrechen oder die Einheit zumindest von der Distanz her noch zu Ende zu laufen.
Wenn ich tatsächlich begründet müde wäre, wenn mich etwas schmerzen würde, ich vielleicht das Gefühl eines aufziehenden Infektes oder andere Beschwerden hätte. 
Ich würde nach Hause laufen und abhaken. 
Ich horche also in mich rein und höre - nichts. 
Nur der absolute Unwille, auch nur noch einen Schritt in dem geplanten Tempo (und wenn ich ehrlich bin, in egal welchem Tempo) weiterzulaufen. 
Also ist es irgendwie ein mentales Problem. 
Nur nutzt diese Erkenntnis leider erst einmal - nichts.

Klar, ich habe Bücher über Mentaltraining gelesen. Es gibt Übungen und Strategien die einem helfen, solche Situationen im Training und Wettkampf zu bewältigen.
Nur habe ich die Erfahrung gemacht, das die Bereitschaft zumindest meines Gehirns, sich sozusagen gegen seinen Willen "überlisten" zu lassen, begrenzt ist. 
Viele dieser "Tricks" oder eben auch das gute alte "Zähne zusammenbeißen und sich selber in den Hintern treten" nutzen sich leider ab, das ist so eine Art Wettrüsten. 

Deshalb hebe ich mir mein Kontingent lieber für wirklich wichtige Situationen wie Wettkämpfe auf.

Wenn ich Pech habe und mich heute dazu zwinge das Ding auf Biegen und Brechen durch zu Ziehen, kann es sein das ich a) es trotzdem nicht schaffe (heute angesichts der verbleibenden Kilometer sehr wahrscheinlich) und b) was noch schlimmer wärenächstes Mal mit so einem schlechten Gefühl starte, das ich die nächste Einheit gleich mit weg schmeiße

Trotzdem ist der Tag - gelinde gesagt - im Arsch. 
Und wenn jetzt jemand der Meinung ist, ich messe dem viel zu viel Bedeutung zu, es ist schließlich nur Training, ich verdiene schließlich kein Geld damit, es gibt soviel wichtigere Dinge und weiter, und so fort, kann ich demjenigen nur folgendes Antworten:
Klar, es geht nicht um Leben oder Tod. 
Aber angesichts der Tatsache, das für viele meiner Mitmenschen schon ein Kratzer an
ihrem Auto, das Verpassen ihrer Lieblingsserie oder die Niederlage einer Fußballmannschaft (in der sie nicht einmal mitspielen!) eine Katastrophe bedeutet und die meisten sich auch nicht bei Ärzte ohne Grenzen oder Amnesty International aufopfern, bin ich der Meinung, das es jedem selbst überlassen sein sollte, wem oder was er Bedeutung zumisst oder auch nicht. 
Und da ich verdammt viel Blut, Schweiß und Tränen (im wörtlichen Sinn!) in meinen Sport stecke, dafür auf vieles verzichte und ich bis zum Marathon in Frankfurt genau noch 16 Tage Zeit habe, erlaube ich mir einfach mal, leicht oder ehrlicherweise eher mitttelschwer in Panik zu verfallen. 
Und zwar nicht weil ich Angst habe, nicht anzukommen, sondern weil ich mir nun mal ein bestimmtes Ziel gesetzt habe, welches nun mal nicht unmaßgeblich davon abhängt, das ich den verdammten Trainingsplan schaffe!

Aber es hilft nichts, ich trabe die restlichen 10 Kilometer nach Hause und tue mir selber leid. 
Blöderweise ist das die einzige Schlüsseleinheit dieser Woche. Der nächste (und vor dem Marathon letzte) 35 Kilometer lange Lauf mit 15 (!) Kilometer Endbeschleunigung ist schon am Samstag. Das heißt, nachholen kann ich die heutige Aufgabe nicht. Und wenn es Samstag so weiter geht - solche Gedanken machen es mir auf dem Nachhauseweg nicht angenehmer. 

Es gibt jetzt irgendwie leider auch kein Happy End. 
Ich werde morgen, am Donnerstag und am Freitag schön im GA 1 Tempo laufen und hoffen das es am Samstag wieder klappt. 
Wenn nicht - 
Plan B? Welcher Plan B? Hoffen das auf eine durchwachsene Vorbereitung ein guter Wettkampf folgt?

Wenn ich auch immer noch nicht eine buddhistische Gelassenheit gegenüber den Tiefpunkten meines Sports entwickeln konnte und es mir eben immer noch furchtbar wichtig ist zu erreichen was ich mir vorgenommen habe, gibt es doch etwas, was ich die letzten Jahre gelernt habe: 
Ich gebe wirklich fast immer mein Bestes. Und wenn das einfach nicht reicht, dann ist es eben so. 
ES IST WIE ES IST 

So, genug gejammert.
Ich halte euch auf dem Laufenden und wünsche euch viel Spaß und Erfolg und was immer ihr euch wünscht. 

Und solltet ihr ganz zufällig ein todsicheres Rezept in der Tasche haben um meine momentane Krise zu überwinden - immer her damit! Ich bin für jede Anregung dankbar!

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Was für ein Tag! - Die Mitteldistanz Nordseewoman in Wilhelmshaven.






Nach meiner etwas unglücklichen Begegnung mit einem Auto im April dieses Jahres, schien meine Triathlon Saison 2017 beendet, bevor sie begonnen hatte.
Physio war gefordert, Schwimmen erlaubt, Aquajoggen und Radfahren auf dem Ergometer auch, aber Laufen?
Kein Arzt wollte sich da verbindlich äußern. Also Abwarten und Tee trinken, bzw. so viel Alternativtraining wie möglich.
Bei jeder Nachsorge Untersuchung stellte ich dieselbe Frage - darf ich Laufen?
Im Juni dann plötzlich die überraschende Antwort – Laufen ja, wenn auch erst nur auf dem Laufband oder der Bahn und seeeehr vorsichtig.  
Aber immerhin Laufen!
Jetzt wollte ich wenigstens noch eine Mitteldistanz finishen, möglichst spät im Jahr, um noch so viel Laufform aufzubauen als irgend möglich und eher flach um meine armen Wirbel so gut als möglich zu schonen.
Schnell fiel meine Wahl auf den Nordseeman / Nordseewomen in Wilhelmshaven am 13. August.
Dort bin ich vor zwei Jahren meine erste Mitteldistanz überhaupt gestartet.
Der Wettkampf ist liebevoll organisiert und die Strecke nicht zu anspruchsvoll.
Natürlich ging es eigentlich nur ums heil und gesund  Ankommen.  
Aber eine Verbesserung zu 2015 sollte natürlich möglichst schon drin sein. 
Hatte ich mich doch tapfer Stunden um Stunden und Bahnen um Bahnen im Schwimmbad abgemüht!
Das Radtraining lief auch super, nur beim Laufen hatte ich so überhaupt keine Einschätzung.
Trotzdem fing ich klammheimlich an, von einer Zeit unter 5 Stunden zu träumen.
Das war eins meiner Ziele für 2017 gewesen und auch ohne Unfall,  bei meiner bisherigen Bestzeit von 05:23 h, schon eher etwas überambitioniert. 

Aber ich wollte ein Ziel, Hopp oder Flop, wie auch immer, einfach nur ankommen war bestimmt vernünftig, aber leider auch so überhaupt nicht sexy.

Also vor, während und nach jedem Lauftraining mit meinem Körper diskutiert. 
Wieviel geht, wie schnell, wie oft? 
Wie fühlt sich der Rücken an? Wie, der rechte Fuß tut weh, wieso das denn jetzt? Und der Erguss im Knie ist auch noch nicht weg? Und ja, ich laufe morgen nicht, aber dafür übermorgen Intervalle, ok?
Insgesamt wohl so ziemlich ok, denn am Tag X stehe ich fröstelnd (wie immer!), aufgeregt (wie immer!) und voller Selbstzweifel (auch wie immer!) in der Wechselzone,  also einfach total glücklich.
Das Gewusel um mich herum, die völlig durchnässte Wiese, die Panik wieder irgendetwas vergessen zu haben  - herrlich.
Nach dem Reinzwängen in den Neo (bin ich wirklich so viel fetter geworden?), kurz einschwimmen und dann kommt auch schon das Startsignal. 
Zumindest  wahrscheinlich kam das Startsignal, denn ich habe das irgendwie nicht gehört. Aber wenn alle los schwimmen, schwimme ich halt auch – fängt ja schon mal super an!
Die Schwimmstrecke in Wilhelmshaven ist für eine so eher nicht so tolle Schwimmerin wie mich ideal.
Eine Wendestrecke in einem Kanal mit Brackwasser, immer geradeaus und im Neo ploppt man hoch wie ein Korken aus einer Sektlasche. 
Was mir nach den ersten paar hundert Metern auffällt, sind die Schwimmerinnen um mich herum. 
Es mag überraschen, dass mich in einem Triathlon die Anwesenheit anderer Schwimmer überrascht, aber das war beileibe nicht immer so.
Nicht das ich im letzten Jahr ständig als Letzte aus dem Wasser kam, aber ich hatte normalerweise immer jede Menge Platz um mich herum.  Nun also geradezu MASSEN!  
Entweder waren die heute besonders langsam oder ich tatsächlich ein klitzekleinesbisschen schneller.
Endlich konnte ich mal diese tollen Ratschläge befolgen wie „an die Füße des Vordermannes anhängen, eventuell kurzen Sprint zum Nächsten einlegen usw!“
Mein persönliches Highlight war jedoch, das mich erst ein paar Meter vor dem Ausstieg das Gros der Badekappen aus der nachfolgenden Startgruppe  überholte – das kam auch schon mal eher.
Dann raus aus dem Wasser, raus aus dem Neo, und - Hurra! - Rad gefunden ohne erstmal durch die Wechselzone zu irren. 
Edge an, Startnummer an, Helm an – ich bin ein Roboter!
Raus aus der Zone, rauf aufs Rad, in die Schuhe, Gas geben.
Alles flutscht trotz über einem Jahr Wettkampfabstinenz.
Auf dem Rad erstmal Status abfragen - sitzt alles, alles da, wie fühle ich mich?
Erst mal fühle ich mich kalt.
Sooo warm ist es bei 15 °C im nassen Einteiler im Wettkampftempo nicht, aber nach ein paar hundert Metern bin ich trocken und konzentriere mich darauf meine vorher festgelegte Wattzahl zu halten.
Da heißt es zuerst mal Tempo drosseln.
Erste Runde, zweite Runde, ich habe zu keiner Zeit das Gefühl mich zu sehr anzustrengen, in der dritten Runde weiß ich, dass ich das durchbekomme.
In der vierten versuche ich die Trittfrequenz zu erhöhen, allmählich muss ich auch darauf achten die Watt zu halten, aber da ist es auch schon vorbei.
In der Wechselzone finde ich meinen Platz, Laufschuhe an, Softflask und Sonnenbrille geschnappt und los.
Normalerweise kommt jetzt mein Highlight, das Laufen, doch diesmal ist es mein größter Unsicherheitsfaktor. 
Ich habe keine Ahnung wo ich läuferisch stehe, habe seit März keinen Wettkampf bestritten, wie meine Laufform tatsächlich aussieht – keine Ahnung.
Mit einer Sub 5 zu finishen klingt toll und auch theoretisch total machbar.
In der Realität bedeutete das jedoch:
 - eine Schwimmpace von 2:00 min pro 100 Meter (was ich noch nie in irgendeinem
   Wettkampf egal welcher Länge geschwommen bin, aber man wächst ja mit seinen 
   Herausforderungen
 - einen Schnitt von 33 – 35 km/h auf dem Rad (auf 90 Kilometer natürlich auch noch nie
    erreicht, aber ich hatte ja meine neue Geheimwaffe, das Pearl – fuhr das nicht sozusagen
    von alleine?)
 - und schlussendlich einen Halbmarathon in höchstens  01:43 h, besser 01:40 h

Zieht man von dieser Zeit die 10% ab, die man im Triathlon als Faustregel länger braucht als in einem reinen Laufwettkampf, käme ich auf eine – hypothetische – Halbmarathon Wettkampfzeit von 01:30 h – 01:33 h.
Sehr witzig, im März war ich in Hannover in Höchstform eine persönliche Bestzeit von 01:31:30 h  gelaufen, davon war ich gefühlt so weit entfernt wie ein Igel von einem Hasen.
Trotzdem peilte ich unverdrossen eine Pace von 04:45 an, langsamer konnte ich ja immer noch werden.
Die Laufstrecke am Deich hat mir bei meiner ersten Teilnahme vor zwei Jahren am wenigsten gefallen.
Ein 5 Km Wendekurs, über den Deich und dann am Wasser entlang auf einem schmalen Weg. 
Der Wendepunkt höchstens einen Meter breit, der Deich in jeder Runde zweimal zu überqueren, gefühlt wuchs das Ding jede Runde um einige Meter.
Zu allem Überfluss war es 2015 auch recht warm, die Strecke natürlich komplett in der Sonne und da nicht abgesperrt, musste man sie auch noch mit Urlaubern, Hunden und sogar Fahrrädern teilen.

Diesmal ist es zwar auch sonnig, aber viel kühler, irgendwie sind die Urlauber dezenter, der Deich flacher, kurzum es läuft sich gut an.
Nach einem Kilometer – ich bin gerade das erste Mal über den Deich,  kommt mir eine Frau in einem gelben T-Shirt entgegen.
Ich bin völlig geschockt. Woher kommt diese Athletin mit einem Vorsprung von fast 4 Kilometern?  Im T-Shirt? Wie schnell will die denn geschwommen sein?
Etwas demoralisiert mache ich mich weiter auf die erste Runde.
Aber das Laufen macht Spaß. 
Ich genieße das Meer, die Zuschauer an der Strecke und vor allem das Strahlen und die aufmunternden Blicke meiner Mitstreiterinnen.
So viel gegenseitige Unterstützung und Motivation untereinander habe ich noch nie erlebt.
Es ist einfach eine Freude.
Auch in der zweiten Runde halte ich mein Tempo ganz gut, ich habe keinen Hunger, keinen Durst und der Deich entfaltet auch noch nicht seinen Schrecken.
Die dritte Runde wird schon schwerer. Ich hänge mich an einen Läufer vor mir und achte darauf ob andere Läuferinnen von hinten aufschließen.  
Bei der Wende zur vierten Runde sehe ich die Uhr am Zielbogen und versuche mit meinem doch inzwischen wohl recht schlecht durchbluteten Gehirn auszurechnen, wie viel Zeit mir für die letzten 5 Kilometer bleibt um mein Traumziel von der Sub 5 zu erreichen.
Ich meine 4 Stunden, 37 Minuten erkannt zu haben oder war es eine 34?
Bei einer Pace von 5:00 wären 5 Kilometer 25 min. Aber halt, da fehlen ja noch so 300 m. Wie schnell laufe ich denn gerade? Das wird nix. Nicht wenn die Uhr 04:37 anzeigte. Nicht wenn ich wirklich 5 min pro Kilometer brauche.
Jetzt fängt die innere Diskussion an.
Vor mir ist mindestens einen Kilometer keine Frau – hinter mir auch nicht. Es gibt also positionsmäßig keinen Grund mehr sich zu beeilen. 
Und die Beine sind müde, die Füße schmerzen, mein Rücken tut weh. 
Ich habe jetzt Hunger, aber noch mehr Durst. 
Lass es gut sein, die Zeit schaffst du eh nicht, ist doch toll das überhaupt alles so gut geklappt hat und so weiter und so weiter.
Ich gucke auf die Uhr, Pace 4:55 min/km. Schneller als ich befürchtet habe. Ein kleines bisschen Gas geben sollte doch drin sein? Ich ziehe etwas an und schließe wieder auf meinen „Hasenläufer“ vor mir auf.
Er guckt, ich so – "jetzt nicht langsamer werden!", er so – "ich versuch es ja!"
Der Arme muss noch eine weitere Runde, hält sich aber tapfer.
So mühen wir uns bis zu meiner letzten Wende, jetzt wird es wirklich hart, gefühlt hangle ich mich von Grashalm zu Grashalm. Das letzte Mal über den Deich, noch ein paar hundert Meter. Ich raffe meine letzten Reserven zusammen und laufe ins Ziel.
Ein Blick zur Uhr – 05:01:53 h.
Ich hatte es geahnt.
Dann aber, anscheinend kehrt inzwischen etwas mehr Blut in mein armes Gehirn zurück, dämmert es mir.
Ich bin ja gar nicht um 09:00 Uhr im ersten Startblock, sondern mit den anderen Frauen um 09:05 gestartet!
Ich rechne vorsichtshalber noch dreimal nach, aber bin mir sicher – meine Endzeit ist irgendwas mit 4 Stunden und 56 min. SUB FÜNF – ich freue mich dermaßen. 
So ein Glück nach diesem verheerenden Jahr.
Meine Hartnäckigkeit, so schnell und so viel wie möglich wieder zu trainieren, sicher auch meine Risikobereitschaft auf mich und meinen Körper und nicht nur auf die Ärzte zu hören und meine Freude an diesem Tag, haben sich unglaublich ausgezahlt.
Nach einer Weile weiter freuen und Melone und Kuchen essen, Bier und Wasser  trinken, fange ich mich ein bisschen an zu wundern, wo denn die nächsten Frauen bleiben. 
Auch gibt es beim Einlaufen keinen Moderator der uns Finisher begrüßt, er ist mit den Startansagen für die Jedermänner beschäftigt.
Ich entdecke eine Offizielle mit einem Klemmbrett in der Hand, die anscheinend  die eintreffenden Sportler notiert und frage sie, ob sie erkennen kann auf welcher Platzierung ich stehe.
Sie checkt meine Startnummer, guckt nochmal und gratuliert mir zum ersten Platz. 
Das kann nicht sein, ich erzähle ihr von der Frau im gelben Shirt. Staffel, meint sie nur – die ist Staffel.
Ich glaub ich träum.
Inzwischen ist auch die zweite Frau und nach ihr eine Freundin aus Hamburg als dritte im Ziel.
Ich erzähle ihnen von unserem Erfolg. Wir strahlen alle um die Wette.
Mein erster Start bei einem Triathlon dieses Jahr, meine erste sub Fünf, mein erster Gesamtsieg, ich bekomme das Grinsen gar nicht mehr aus meinem Gesicht.
Ein Interview für die Wilhelmshavener Zeitung – die Siegerehrung. Ich genieße jede Sekunde.


Was für ein perfekter Tag!


Zum Abschluss nochmal die nackten Zahlen:

Schwimmen: 1,9 km - 37:03 min - 02:57 min/100 m
Rad: 90,3 km - 02:34:55 h - 35 km/h - 3,18 W/kg
Laufen: 21,1 km - 01:39:44 h - 04:44 min/km


Weitere Fotos findet ihr HIER

Eine schöne Zusammenfassung in der Wilhelmshavener 
Zeitung HIER
Ein paar weitere Fotos HIER


So sehen strahlende Siegerinnen aus 😏









Aufwärts

Hier sehe ich doch schon bedeutend besser aus!
In den folgenden Tagen im Krankenhaus versuche ich, mich körperlich und vor allem seelisch, mit der Situation abzufinden oder zumindest zu arrangieren.
Abgesehen davon, dass ich mich trotz der Schmerzmittel kaum bewegen kann und auch nicht darf, reihen sich noch weitere Hiobsbotschaften aneinander.

Mir wird immer wieder Blut abgenommen, als ich frage warum, wird mir eröffnet, das mein Herz wohl etwas abbekommen hat, die Enzyme im Blut sind viel zu hoch, das bedeutet abgestorbene Herzmuskelzellen.
Außerdem ist meine rechte Gesichtshälfte ganz taub. 
Nicht nur das ich nicht Essen kann wegen meiner armen Zähne, nicht schlucken kann wegen des Halses, ich kann auch nicht trinken. Es fühlt sich an wie eine starke Betäubung beim Zahnarzt. Nur ein Strohhalm verhindert, dass mir alles wieder aus dem Mund läuft. Kaffee mit Strohhalm – wird sicher nicht mein Favorit!

Trotzdem habe ich Glück, nach einem erneuten CT wird auf eine OP meiner Wirbel verzichtet und eine Sonografie vom Herz zeigt auch keine Auffälligkeiten. 
So kann ich nach einer Woche endlich nach Hause. Gerade noch rechtzeitig, das Essen war so grauenhaft, das ich wohl ohne Jans´ Carepakete auch noch verhungert wäre. Erinnert sich noch irgendjemand an Milchsuppe???

Zuhause angekommen falle ich aber trotzdem erst mal in ein ziemliches Loch.
Die Prognose der Klinikärzte ist niederschmetternd.
Klar, das Wichtigste ist, das ich aller Voraussicht nach keine bleibenden Schäden nachbehalten werde. 
Aber trotzdem stimmt mich die Aussicht, für Monate auf jedes ernsthafte Training verzichten zu müssen, nicht gerade froh.
Dazu kommt auch der nicht unerhebliche finanzielle Aspekt.
Da ich den Unfall selbst verschuldet habe, muss ich für alle mir entstandenen Kosten selber aufkommen.
Nicht nur das Fahrrad, auch die beträchtlichen Startgebühren der verpassten Wettkämpfe kann ich jetzt abschreiben.
An die Zahnarztrechnung für meine Vorderzähne wage ich gar nicht zu denken.

Ich hatte ja gehofft das meine Unfallversicherung die einen oder anderen Kosten übernimmt, aber Pustekuchen!
Ein Anruf meinerseits und ein Schreiben dererseits belehrt mich leider eines Besseren oder vielmehr Schlechteren.
Die Versicherung greift nur bei BLEIBENDEN Schäden. 
Das heißt. ich hätte schon im Rollstuhl landen müssen oder arbeitsunfähig werden, um eine Leistung zu erhalten.
Der Preis wäre mir dann allerdings doch zu groß.
Wenigstes den Schaden am Transporter übernimmt meine Haftpflicht.

Trotz alledem, versuche ich nicht länger als nötig mit der Situation zu hadern.
Es gibt nämlich auch gute Nachrichten.
Ein Termin bei meinem Unfallarzt, der mich seit Jahren betreut, gibt Anlass zur Hoffnung.

Nachdem er sich mit wachsendem Unglauben durch meinen 4 seitigen Entlassungsbericht gearbeitet hat und ein neues Röntgenbild erstellt ist, gibt er doch eine sehr viel differenziertere Diagnose ab.

Da mir beim Sitzen auf einem Stuhl der
Rücken wehtut, schaffe ich mir einen
Gymnastikball an.
Trainiert auch gleich die Tiefenmuskulatur!. 
Ich darf ab sofort neben der Physiotherapie auch Schwimmen (auch kraulen? Ja, auch kraulen), Aquajoggen und auf dem Ergometer Radfahren.
Alles unter der Prämisse eines 3 wöchigen Kontrolltermin.

Absolut verboten ist aber Laufen.
Auch soll ich es tunlichst vermeiden zu stürzen, Schläge in meinen Rücken zu bekommen (hatte ich ehrlich auch nicht vor) und schwer zu tragen (sorry Schatz, kannst du mir bitte die Wäsche tragen – ich darf ja nicht . . .)
Alles in allem aber doch schon erheblich mehr als das „Nichts“ welches mir seitens der Klinik auferlegt werden sollte!

So nutze ich die Zeit so gut es geht.

Schwimmen hat erst einmal Priorität.
Beim Aquajoggen drückt der Gurt hinten gegen meinen Rücken. Das halte ich für ungünstig, egal was der Arzt sagt, deshalb stelle ich das vorsichtshalber vorerst zurück.

Bereits 10 Tage nach meinem Unfall, sitze
ich wieder auf einem "Fahrrad"
Beim Radfahren steige ich sobald wie möglich vom Ergometer auf mein Rennrad in der Rolle um, der Bewegungsablauf ist sonst einfach zu unterschiedlich.
Ich vertreibe mir die Zeit dabei mit Workouts von Zwift und dem ungehemmten Konsum von Serien auf Amazon Prime, die ich seit Jahren bezahle, aber nie wirklich beachtet habe . . .
Überhaupt – der Frühling ist unerwartet schön und sonnig und ich relaxe so oft auf meiner Liege im Garten wie seit Jahren nicht mehr.
Kurz, ich versuche eine möglichst ausgewogene Mischung aus Erholung und maximal machbarem Training zu erreichen.
Trotzdem sehe ich jeder Kontrolluntersuchung mit leichtem Bangen entgegen, denn auch wenn das WAS durchaus mit meinem Arzt abgesprochen ist, das WIEVIEL habe ich doch lieber nicht erörtert . . .
Aber alles geht gut, meine Genesung schreitet voran und ich fange an zu planen wie ich von der Saison noch retten kann, was noch zu retten ist.
Um meine schöne Radform nicht umsonst aufgebaut zu haben, melde ich mich kurzerhand für die 180 km Distanz bei den Hamburger Cyclassics.
Die wollte ich schon seit Jahren fahren, habe mich aber nie so richtig getraut.
Zu groß war meine Angst vor einem Sturz und einer Verletzung.
Da ja aber der Blitz bekanntlich nicht zweimal einschlägt, habe ich ja für dieses Jahr wohl hoffentlich mein Kontingent an Unfallverletzungen erfüllt.
Außerdem mache ich mir Hoffnung auf einen Start bei den Deutschen Marathon Meisterschaften in Frankfurt.
Über diese Brücke auf dem Weg zum
Stadtpark bin ich noch nie GEGANGEN.
Geschweige denn das ich ein Foto hätte
machen lassen 
Der Termin ist erst Ende Oktober, ich bin mir ziemlich sicher bis dahin wieder Laufen zu dürfen.

Es kommt aber noch besser, schon im Juni kommt die Freigabe wieder ins´ Laufen einzusteigen!
Damit habe ich überhaupt noch nicht gerechnet, wahrscheinlich war der arme Mann mein Jammern einfach leid 😁
Ich beginne also ganz vorsichtig auf dem Laufband, 
um ja kein Stolpern oder gar einen Sturz zu riskieren.

Aber Woche für Woche geht es immer besser. 

So mache ich mich am 15.August auf nach Wilhelmshaven. 
Das ich bei der dortigen Mitteldistanz starten kann,
ist ein unerwartetes Geschenk für mich. 
Ich schwanke zwischen Zuversicht, Vorfreude und Angst.

Wie es mir ergangen ist, könnt ihr HIER lesen!

Sonntag, 24. September 2017

In der Notaufnahme – als ob einmal nicht gereicht hätte!

Im Krankenhaus angekommen, werde ich unsanft aus meinem Dämmerzustand gerissen.

Nachdem man mich mit ziemlichen Trara vom der Rettungsliege auf ein Bett in der Notaufnahme verfrachtet hat, beginnen die Ärzte ihrerseits das Ausmaß der Schäden zu eruieren, eine Prozedur die sich anscheinend einige Stunden hinzieht und von mir nur teilweise bei Bewusstsein verfolgt werden kann.

Es ist wohl eine ganze Menge kaputt, ständig werde ich in irgendwelche Röhren und Apparate geschoben, eine unglaubliche Menge an Ärzten begucken mich, zerren an mir rum und tasten mich ab.
Mir macht mein Rücken, der furchtbar weh tut und mein linkes Knie am meisten Sorgen.
Die Ärzte haben da wohl andere Prioritäten, sie fragen ständig nach meinem Hals.
Was soll ich sagen, mein Mund ist voller Blut, das Schlucken fällt mir total schwer, ich fühle meine abgebrochenen Zähne und das Sprechen geht auch nur so semi, aber ansonsten, atmen ist kein Problem.
Aber es hilft nichts.
Ein Endoskop wird mir in den Hals geschoben.
Fühlte sich meine Kehle vorher doof an, wäre ich jetzt am liebsten von der Liege gesprungen.

Ergebnis, mein Zungenbein ist gebrochen.
Ich bin überrascht, in Krimis ist man danach immer ziemlich tot und erwürgt, ich habe aber wohl diese Verletzung dem Kinnriemen meines Helms zu verdanken.
Aber schlimmer noch, die Luftröhre ist verletzt und es befindet sich Luft im Hals wo keine Luft sein sollte.
Sie wollen mich vom Krankenhaus Boberg nach St. Georg verlegen – anscheinend gibt es hier keine Intensiv HNO Abteilung.
Vorher werde ich aber noch hübsch zusammengeflickt.
Meine Lippe wird genäht, das Kinn und das Knie auch – der Abwechslung halber von jeweils einem anderen Arzt.
Das gröbste Blut wird mir aus dem Gesicht gewaschen, sickert aber von wo auch immer (Mund, Nase, Kinn, Lippe, Stirn?) immer wieder nach.
Nur um meine armen Zähne kümmert sich niemand . . .

Jetzt informiert mich auch ein Arzt über die Summe meiner Defekte.

Grob Zusammengefasst von oben nach unten:

  • Gehirn, abgesehen von einer retrograden Amnesie, wohl ganz ok
  • Schädel nicht gebrochen
  • Platzwunde an der Schläfe 
  • 4 abgebrochene Vorderzähne
  • Unterlippe komplett eingerissen
  • Platzwunde am Kinn
  • Zweiter und dritter Brustwirbel gebrochen, die Vorderkanten sind abgesplittert und die Dornfortsätze abgebrochen
  • Knie geprellt, mit zwei tiefen Rissen (aber zum Glück nichts kaputt!)

Das ist die vorläufige Bilanz. Später sollte sich da noch so einiges dazugesellen . . .

Mein armer Mann, der seit Stunden in der Notaufnahme auf irgendwelche Nachrichten wartet, wird für ungefähr 2 Minuten zu mir gelassen.
Kurz informiert das ich wohl trotz meines desolaten Aussehens wieder auf die Beine (wortwörtlich) komme und gleich wieder raus geschoben, mit der Eröffnung, er könne mir ja nach St. Georg hinterherfahren.
Da kommt auch schon mein „Taxi“ in Richtung St. Georg, wieder rauf auf die Trage, rein in den Rettungswagen und los.

Ich werde allmählich müde, es ist inzwischen fast 8 Uhr Abends, ich bin sozusagen seit ungefähr 4 – 5 Stunden im Ausnahmezustand, mir tut alles weh und ich bin erstaunlicherweise furchtbar hungrig.
Die Fahrt im Rettungswagen ist ja noch ganz angenehm, aber in St. Georg angekommen beginnt die gesamte Untersuchung - und Aufnahmeprozedur von vorn.
Ich hätte die Liste meiner Verletzungen herbeten können und ein Arztbericht war bestimmt auch dabei, aber all mein Protestieren hilft nichts, bis zum Röntgen und Scannen meiner diversen Körperpartien wird alles wiederholt.
Leider sieht man auf den neuen MRT´s, dass zusätzlich der 10. und 12. Brustwirbel eine Deckplattenfraktur hat. Jetzt steht auf einmal sogar eine OP im Raum.
Die Krönung aber ist das erneute Endoskopieren meiner Luftröhre. Jetzt habe ich endgültig den Hals (Achtung, Wortspiel!) voll.
Um kurz vor neun liege ich dann endlich zwischen piepsenden Geräten in einem Intensivbett und hoffe auf einen erneuten Besuch von Jan und vor allem etwas zu essen.
Natürlich bin ich jetzt auf einmal hellwach, die Minuten schleichen dahin, ich kann mich nicht bewegen, habe nichts um mich abzulenken außer dem Blick auf andere bewusstlose Patienten.
Das Personal ist mit mir etwas überfordert. 
Man ist hier nicht auf Patienten eingerichtet die reden, Hunger haben und alleine auf die Toilette wollen.
Es gibt tatsächlich keine Patiententoilette!
Schließlich treibt eine mitleidige Schwester eine Mikrowellentomatensuppe, ein paar Scheiben ungetoastetes Toastbrot sowie einen Joghurt aus dem Schwesternzimmer auf und Jan darf trotz der vorgerückten Stunde kurz hereinschauen.


Viel besser!

Selfie am gleichen Abend. Das ist ungefähr der dritte Versuch so etwas wie ein Lächeln zustande zu bekommen. Dabei geht es mir dank einer ordentlichen Portion Morphium eigentlich ganz gut

Wie ich hier gelandet bin? Teil 1 findet ihr HIER!
Wie es weiter geht? Teil 3 findet ihr HIER!